Die Hinwendung zur Materialität

Fotocredit: Photo courtesy of Monika Böhme-Sauter

Die Hinwendung zur Materialität

Denkt man an den heutigen Diskurs über die Malerei der Spätantike bis hin zur Kunst des 19. Jahrhunderts, so steht fast immer die Ikonographie und Ikonologie mit ihren Methoden im Mittelpunkt des Interesses. Sujet, Gegenstand, Inhalt, Symbolbedeutung und Sinn werden stets akribisch erforscht. Selbst die Malerei der Moderne, sei es nur eine einfache, schwarze, quadratische Fläche, scheint durch und durch mit Bedeutung aufgeladen zu sein, was nicht zuletzt durch die von den Künstlern mitgelieferten Theorien selbst befördert wird. So konnte man sich ab 1910 zwar schon von der Linie als Begrenzungsmittel befreien, aber noch nicht von der Notwendigkeit einer durch das Bild vermittelten Bedeutung.

Die Materialität eines Kunstwerks jedoch, scheint im Diskurs oft eine Nebenrolle zu spielen. Ein Beispiel: Obwohl doch beispielsweise die Erfindung bzw. Perfektionierung der Ölmalerei durch Jan van Eyck am Beginn des  zweiten Viertels des 15. Jahrhunderts das Medium der Malerei revolutioniert hat und damit die Entstehung von besonders naturalistischen Darstellungen erst ermöglicht hat, da Öl eben Eigenschaften hat, welche das Licht in bestimmter Weise absorbieren und reflektieren können und die verschiedenen, im Bild gemalten Strukturen, unterschiedlich wiederzugeben vermögen und welches sich selbst reliefartig über die Maloberfläche legt, scheint dieser Aspekt, die Bedeutung von Materialität. weniger Beachtung und Würdigung zu erfahren als es ihr zusteht. 

Denken wir aber auch an die zeitgenössische Malerei. Ist nicht der Künstler/die Künstlerin stolz auf die Anwendung bestimmter Techniken und Materialmischungen, die die Oberfläche in ganz eigentümlichen Weise erscheinen lassen und ist er/sie nicht wieder mit der Rezeption von Betrachtern konfrontiert, die selbst  abstrakten Werke zu  Bedeutungen zu erkennen glauben und das Werk zum ästhetischen Bedeutungsträgern machen? Glaubt man nicht Bilder als Geschichten lesen zu müssen?

In diesem Sinne wollen wir uns in der Ausstellung der Vorarlberger Künstlerin und Kunsthistorikerin Monika Böhme-Sauter ganz auf die Materialität, die Strukturen und die Oberflächen von Objekten einlassen. In dem Sinn, dass Kunst sich hier an die Oberfläche der natürlichen Erscheinungen hält, aber ihre eigene Tiefe hat, dass Material etwas Stoffliches ist und Struktur die Syntax von Formen ist. Abstrahiert aber gleichzeitig real. Ausschnitthaft und im Moment festgehalten. Perspektivisch und fokussiert.

Wir werden sehen, wie sich an den gezeigten Gegenständen Farben, Oberflächen und Strukturen im Laufe der Zeit verändert haben und dass diese sich in einem Zustand der Aufgabe befinden. Gerade dieser Gedanke verleitet uns aber gerade schon wieder dazu, darin etwas Schicksalhaftes zu erkennen und einen symbolhaften Hinweis auf die Vergänglichkeit und Antworten auf die Frage nach Transzendenz zu suchen. Es bleibt dem Betrachter, der Betrachterin natürlich immer selbst überlassen, wie er, sie mit den Fotografien von Monika Böhme-Sauter umgeht und worin der Fokus bestehen könnte oder sollte. Mir ist es aber dennoch besonders  wichtig, auch einmal auf das Material, die Materie, die Materialität, die hier so gut eingefangen und uns so augenscheinlich entgegentreten,  hinzuweisen.

Versuchen wir einmal die Vorstellung eines Idealbildes, das seiner materiellen Erscheinung vorausgeht  und uns das gerade Gesehene mit dem uns innewohnenden Idealtypus vergleichen lässt, wegzulassen. Begreifen wir, dass wir die Wirkung eines Bildes dem Material und den technischen Prozessen verdanken und lassen wir einmal die aristotelische, hylomorphe Hülle und Idee weg. Befassen wir uns mit Alchemie statt mit Symbolik. Begleiten wir Monika Böhme-Sauter auf ihren Rundgängen in Vorarlberg, der Schweiz und in Liechtenstein, wo sie Erstaunliches entdeckt hat und uns zeigt.

Text von Andreas Schlichtner 15.11.2020